Der amerikanische Traum
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hubert eckart
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19.05.2016, 08:57 -
#1
Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:

Titelseite, 18.05.2016

Klassische Musik

Der amerikanische Traum
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Von Tim Neshitov

Im Garten von Steven Sloane in Bochum hängt ein leeres Baumhaus. Seine Kinder gehen nun in Berlin zur Schule. Kinder hinterlassen Stille, aber ein stummer Garten kann einem Dirigenten auch gut tun. Er fühlt sich wohl in Bochum. Viele würden sich eher in Los Angeles wohl fühlen, wo Sloane geboren ist. Er erinnert sich an eine sonnige Jugend, an den Crestwood Hills Park, an die Rockband, in der er Gitarre spielte. Er dirigiert immer wieder in Kalifornien. Aber sein Hauptorchester, sein Lieblingsklangkörper sind die Bochumer Symphoniker.

Dank Sloane haben die Symphoniker ab Oktober einen Konzertsaal. Nicht einen neuen, sondern überhaupt einen. Seit ihrem Gründungsjahr 1919 spielen die Bochumer Musiker dort, wo gerade ein Raum mit einer Bühne frei ist, oder halt einer ohne Bühne. Zum Beispiel im Schauspielhaus an der Königsallee, einem legendären Haus zwar, aber mit Sprechtheaterakustik, bei der, wie die Musiker sagen, "einem die Noten vor die Füße fallen". Oder in der Jahrhunderthalle in Stahlhausen, die mal Gebläsemaschinen beherbergte . . .

"We always got the crumbs", sagt Sloane. Er spricht gut deutsch und übersetzt sich selbst aus dem Englischen. "Wir haben immer die Krümel gekriegt." Oder umgekehrt aus dem Deutschen ins Englische. "Ich bin ein Ruhri. I am a Ruhri." Oder er sagt Sachen wie: "A new Zweck for celebrating a church." Der neue Konzertsaal ist an eine entweihte Kirche angebaut.

Sloane ist ein fantastischer Ruhri, ihm ist etwas gelungen, woran seine Vorgänger ein Jahrhundert lang gescheitert waren, es war ein Jahrhundert voller Waffen, Zechen, Tauben, Zigaretten, Claus Peymann. Deutscher Alltag. Vielleicht klappte es so lange nicht mit dem Konzertsaal, weil Bochum ein gespaltenes Verhältnis zur Kultur pflegt. Es gibt ein Foto aus dem Sommer 1945: Bochum-Ehrenfeld, alles noch in Trümmern, nur das Schauspielhaus wird schon wieder aufgebaut, ein Tempel der Hohen Kunst.

Das Wunder von Bochum kostet nur 38 Millionen Euro. Staunen in München sowie in Hamburg
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Das Fehlen einer Spielstätte für das eigene Orchester störte hier hingegen lange niemanden. Es störte nur das Ensemble und vielleicht noch jene stumm leidenden Zuhörer, überschaubar an der Zahl, denen es wehtut, wenn Musikern ihre Noten vor die Füße fallen. Es gab jedenfalls bereits vor Steven Sloane Konzertsaalpläne, sogar Baupläne, aber es wurde nie etwas daraus. Kein Geld. Unterm Strich: kein Bock. Die Symphoniker sind nicht der VfL.

VfL-Fan Sloane hat sich durchgebissen, zum Teil durchgebettelt, vor allem aber hat er sich durchdirigiert. So hat er nicht nur den Bochumern, sondern, zwinker, zwinker, auch den Hamburgern und Münchnern eine schöne Lektion erteilt: So, Leute, kommt man an einen Konzertsaal!

Die Bochumer jedenfalls finden ihre Symphoniker auf einmal sehr gut und interessant. Der Stadtrat und das Land Nordrhein-Westfalen stehen nun selbstverständlich hinter dem "Projekt Konzertsaal", das war nicht immer so klar ersichtlich, aber nun, da alles gut gegangen ist, warum nicht? Ein Wahl-Bochumer aus Los Angeles hat das Biest namens deutscher Alltag bezwungen. Das ist eine interessante Übung, jenseits der Frage, wie viel Klassik ein Land braucht.

Das Wunder von Bochum hat 38 Millionen Euro gekostet. Zum Vergleich, die Hamburger haben sich gerade eine Elbphilharmonie für 789 Millionen Euro gegönnt. Die Münchner wollen ihren akustisch nervigen Gasteig umbauen, was zwischen 300 und 400 Millionen Euro kosten darf, von den Kosten für einen neuen Konzertsaal dann noch sehr zu schweigen.

Das Zeichen allergrößter Zuneigung im Ruhrgebiet: Mehr als ein Drittel des Gelds in Bochum kam von Spendern. Das Ergebnis sieht gut aus, irgendwie pottschick. In Bochum dreht sich vieles um das kulinarisch anspruchsvolle Weggehviertel Bermudadreieck. Sobald man dem entkommt, Richtung Königsallee, streckt sich die schlanke, kartoffelfarbige Marienkirche gen Himmel, entweiht, aber gepflegt. Diese Kirche dient nun als Foyer. Wo der Altar war, entsteht die Kassentheke, und oben hängt eine schwere Glocke mit eingraviertem Spruch: "In Christus alles wiederherstellen." Sloane ist Jude und glaubt nicht an Gott, aber er mag diese Glocke. Sie wird nun zur Pausenglocke, gestimmt auf den Ton B.

Nebenan: Der Konzertsaal, dessen Wände derart kurvenfein verlaufen, das es sich wie eine unaufdringliche Umarmung anfühlt. Das Bochumer Publikum soll nach hundert Jahren Klangverzerrung akustisch umarmt werden. Auch die Musiker wollen umarmt werden auf ihrer Bühne, die endlich groß genug ist für alle, 220 Quadratmeter, und trotzdem intim im Vergleich zu vielen Häusern dieser Welt. Noch riecht es hier nach Holz und Bohrlöchern.

Es gab schon Pläne für den Gnadenakt: die Fusion des Orchesters mit den Dortmundern
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Steven Sloane gelang all dies, in dem er auf die Bochumer Bevölkerung gnadenlos Charme ausübte, auch auf Menschen, die nicht viel Ahnung von klassischer Musik haben. Mehr als 50 000 Bochumer haben den Bau unterstützt. Am Ende hatte Sloane aber auch Glück. Gegen die Bezirksregierung Arnsberg, die den Bochumer Stadthaushalt genehmigt beziehungsweise nicht genehmigt, hilft kein Charme. Der Kampf im Revier verlief zum Teil dramatisch. Sloane ist ein Mann, der jeden Tag Sport treibt, Crosstrainer, 16-Kilo-Hanteln, er trägt Lederjacken, Ohrstecker, er ist der Typ Zupacker, der das Kind in sich noch nicht getötet hat. Sein Lächeln ist nie routiniert.

Weihnachten 2008 sei ganz düster gewesen. "An manchen Tagen bin ich aufgewacht und habe im Dunkeln gesagt: Es ist vorbei, what's next?"

Die Bezirksregierung Arnsberg hatte den Bau der Bochumer Symphonie in einer Zeit ausgebremst, in der Sloane keine Lust mehr verspürte, bis ans Ende seiner Karriere in erbärmlicher Akustik zu dirigieren. Er ist schließlich auch in Amsterdam gefragt, in New York, in Leeds, in Stavanger. Außerdem verspürte er keine Lust mehr aufs Klinkenputzen. Es gibt auch nicht so viele Klinken in Bochum, die man putzen kann. Sloane hatte bereits mehr als sieben Millionen Euro Spenden zusammengekriegt, der beeindruckte Stadtrat hatte 15 Millionen Euro Zuschuss versprochen, und nun: Nothaushalt.

Ein großer Steuerzahler hatte Bochum verlassen, Nokia. Ein Vorvorvorgänger Steven Sloanes hatte im Jahr 1959, da war Sloane noch ein Säugling in Los Angeles, ein Memorandum an den Bochumer Stadtrat verfasst: "Die seit 1956 im Rat diskutierte Absicht, dem Städtischen Orchester statt der bisherigen Provisorien eine angemessene Unterkunft zuzuweisen, darf nicht aufgegeben werden." Damals wollte man für die Symphoniker das Parkhaus im Stadtpark erweitern. Dann ging es den Bochumer Zechen nicht gut, und das Parkhaus blieb ein Parkhaus.

Als Sloane 1994 den Dirigentenposten in Bochum übernahm, ging es wiederum dem Orchester bereits so schlecht, dass auf der Bühne oft mehr Menschen saßen als im Publikum. Es gab Pläne, die Bochumer aus Gnade mit den Dortmundern zu fusionieren. Sloane hätte den Job in Dortmund bekommen, aber er lehnte ab. Die Bochumer hatten ihn gerührt, sie hatten ihn zum Amtsantritt mit Plakaten begrüßt, aufgehängt überall in der Stadt: "Please welcome Mr. Sloane!"

"Wir sind zusammengewachsen", sagt er. Deswegen kann er diesen Musikern auch nicht einfach Goodbye sagen. Eins der Please-welcome-Plakate hängt noch in der ehemaligen Zeche Prinz Regent im Süden Bochums. Hier proben die Symphoniker. Müssen sie. Noch. Die Geiger klagen, dass sie beim Spielen sich selbst nicht hören, sie hören nur die anderen. Wenn sie im Audimax spielen, hören sie umgekehrt nur sich selbst. Trotzdem ist dieses Orchester unter Sloane immer besser geworden. Der Deutsche Musikverleger-Verband hat das Bochumer Konzertprogramm zweimal als das beste der Saison ausgezeichnet.

Vor einigen Wochen dirigierte Sloane eins seiner letzten Konzerte im Schauspielhaus. Er zog sich in der fremden Umkleide um, die ihm als Dirigentenzimmer zugewiesen worden war, aß saure Gummibärchen auf dem Flur, am Tag danach fuhren sie nach Amsterdam und spielten das selbe Programm im legendären Concertgebouw: "Für uns war das wie Tag und Nacht." Das Amsterdamer Publikum aber, das die Bochumer Nacht nicht kennt, applaudierte einem Orchester, das mittlerweile international gut mithalten kann.

In Bochum leben trotzdem Menschen, die den Bau der Philharmonie verhindern wollten. Es gab den Versuch eines Bürgerbegehrens mit der Begründung, Bochum brauche so etwas nicht. Ein Vater beschwerte sich, die Stadt finde kein Geld für einen neuen Sonnenvorhang für die Schule seines Sohnes, 600 Euro, während die Symphoniker Millionen kriegen. Es ist aber auch so, dass die Stadt erst kürzlich ein neues Gymnasium gebaut hat, für 32 Millionen Euro.

Der Abriss der Kirche hätte eh 10 Millionen gekostet. Da hatte Sloane mal wieder eine Idee
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Eine Zeit lang schickte Sloane seine Musiker mit Sparschweinen ausgestattet unters Volk. Samstagsmusik in der Fußgängerzone. Sie spielten im Kolpinghaus, vor dem C & A, bei Spielplatzeinweihungen. Der Golfclub Stiepel richtete ein Turnier aus, zur Preisverleihung gab es Blechbläser, und die Musiker bekamen einen Teil des Preisgeldes. Sloane dirigierte den Spielmannszug der Maiabendgesellschaft. Alles für die Konzerthaus-Stiftung. Arbeiten für den Arbeitsplatz. Sloane holte Herbert Grönemeyer für ein Benefizkonzert ins Ruhrstadion, klingelte Bochumer aus dem Ski-Urlaub. "Einer gab 100 000 Euro und war genervt. Heute ist er stolz."

Die größte Summe gab Norman Faber, ein Lotto-Unternehmer. Sloane hoffte auf ein paar Tausend Euro, vielleicht fünf. Faber gab fünf Millionen. "Ich musste mich an seinem Tisch festhalten", sagt Sloane. Faber stellte Bedingungen: Der Konzertsaal soll im Stadtzentrum gebaut werden, und er spendet nur, wenn auch andere spenden. Die Bedingung, dass sein Name irgendwo prange, stellte Faber nicht. Die Fassade wird nun der Name von Anneliese Brost schmücken. Die Stiftung der WAZ-Gründerin steuerte drei Millionen bei.

Sloane hätte diesen Kampf trotzdem verloren. Die Spenden alleine hätten nicht ausgereicht, und bei Stadt und Land war nichts zu holen. Nur weil die Marienkirche abgerissen werden sollte, weil für deren Abwicklung zehn Millionen Euro eingeplant waren, durfte Sloane mit einem neuen Architektenentwurf wieder Politikerhände schütteln. Der Konzertsaal wurde an die Kirche herangeschmiegt und in ein "Musikforum" umgewandelt, er ist also mehr als eine Spielstätte für die Symphoniker, er ist auch ein Raum für die Musikschule, für Klavierfestivals, Lesungen - und so gab es plötzlich sogar Geld aus Brüssel.

Vor drei Jahren übernahm Sloane eine Professur für Dirigieren in Berlin. Seine Frau und drei Kinder leben dort, am Los-Angeles-Platz, er pendelt. In seinem hellen Bochumer Haus mit Kamin fehlen nun die Partituren und Bücher in den Regalen. Was macht ein Konzertsaal-Gigant, so ganz allein? Brownies essen, Bier trinken, Baseball gucken. Alltag. At it's best.


Tim Neshitov
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Tim Neshitov wurde 1982 in Sankt Petersburg geboren. Dort studierte er Journalismus und arbeitete als Dolmetscher. In München absolvierte er die Deutsche Journalistenschule und arbeitete als Korrespondent der türkischen Zeitung Zaman. Seit 2012 ist er Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung.


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Hubert Eckart
Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
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